Wie funktioniert ein Doppelmembran-Kondensatormikrofon?

           © Burkhard Heise, 2012

 

 


Einfache und doppelte Membrane

Kondensatormikrofone gibt es in Ausführungen mit einer oder zwei Membranen. Die zweite Membran ermöglicht es, unterschiedliche Richtcharak-teristiken durch Addition beider Membransignale zu erzeugen. Vielleicht haben Sie das Vergnügen, ein Doppelmembran-Kondensatormikrofon zu besitzen, dessen Richtcharakteristik sich am Mikrofon elektrisch umschalten lässt.

                

Kondensatormikrofon mit einfacher Membran                                  Kondensatormikrofon mit Doppelmembran

Die Sacklöcher dienen zur akustischen Dämpfung und Abstimmung des Frequenzgangs. Die Gegenelektrode hat durchgängige Löcher, um die Membranen auch von hinten an das Schallfeld anzukoppeln.

 

Wie funktioniert das?

Bei diesem Mikrofontyp ist gegenüber der festen Kondensatorplatte eine zweite Membrane angebracht, die je nach gewünschter Richtwirkung mit einer bestimmten elektrische Vorspannung (variabel) beaufschlagt wird. Damit werden an den Membranen „vorne“ und „hinten“ unterschiedliche Richtcharakteristiken erzeugt, die sich akustisch überlagern und ein gemeinsames elektrische addiertes Ausgangssignal erzeugen. Ausgangspunkt sind die zwei Membranen mit Nierencharakteristik. Tricky daran ist, dass die jeweils andere Membran die Funktion des akustischen Laufzeitglieds übernimmt, das benötigt wird, um überhaupt eine Nierencharakteristik zu erzeugen; das ist ein ziemlich ausgefuchstes Prinzip. Je nach elektrischer Vorspannung der hinteren Membran ergeben sich die in der folgenden Abbildung gezeigten Richtcharakteristiken des Gesamtmikrofons, die von der Kugel über die verschiedenen Nieren bis zur Acht variiert werden können.

Die vordere Membran wird mit einer positiven Spannung fest beaufschlagt, die hintere Membran je nach gewünschter Richtwirkung mit positiver oder negativer Spannung aufgeladen, bzw. gar nicht geladen. Sofern das Mikrofon fernbedienbar ist, kann man hervorragend von der Regie aus mit den verschiedenen Charakteristiken im Hinblick auf das Klangergebnis experimentieren. Spannung und Polarität der vorderen Membran sind fest, die der hinteren Membran sind variabel. Prinzipiell können damit 5 Variationen realisiert werden, es ist sogar möglich, die Charakteristiken stufenlos ineinander zu überblenden.

polarität doppelmembran

Unterschiedliche Polarität und Spannung beim Doppelmembran-Kondensatormikrofon

1 Die Spannung der hinteren Membran ist in Polarität und Höhe identisch. Damit bildet sich eine zweite Niere nach hinten. Das Mikrofon hat Kugel-charakteristik.

2 Die Spannung der hinteren Membran ist in Polarität gleich, aber etwas niedriger. Es bildet sich nach hinten eine kleine Niere aus. Das Mikrofon hat die Charakteristik einer breiten Niere.

3 Die Spannung der hinteren Membran ist Null. Das Mikrofon hat eine klassische Nierencharakteristik.

4 Die Polarität der hinteren Membran ist entgegengesetzt und geringer. Damit bildet sich nach hinten eine Niere aus, die elektrische Addition beider Signale führt dazu, dass das Mikrofon die Charakteristik einer Superniere bis zu einer Hyperniere annimmt.

5 Die Polarität der hinteren Membran ist entgegengesetzt und die Spannung gleich hoch. Damit bildet sich eine zweite Niere mit umgekehrter Polarität aus. Das Mikrofon hat eine Achtercharakteristik.

Eine Falle ist noch zu beachten: Aus der Addition zweier Nieren ergibt sich als resultierende Richtwirkung eine Kugel. Aber aufgepasst: Damit ändert sich nicht das Empfängerprinzip des Mikrofons, es bleibt ein Druckgradientenempfänger mit allen Vor- und Nachteilen. Trotz Kugelform der Richtcharakteristik ist es kein Druckempfänger, das heißt die Linearität bei tiefen Frequenzen ist deutlich schlechter als bei einem Druckempfänger! Auch der Nahbesprechungseffekt bleibt erhalten, den man bei Druckempfängern nicht kennt. Kenntnisse über Mikrofone helfen, nicht vorschnell in eine gedankliche Falle zu tappen, das falsche Mikrofon auszuwählen und dann enttäuscht zu sein, dass der Klang unbefriedigend ist.

Achtung: Bei Mikrofonen mit umschaltbarer Richtcharakteristik in der Stellung Kugel ergeben sich nicht zwangsläufig die positiven Eigen-schaften des Druckempfängers. Die Nachteile des Druckgradientenempfängers bleiben erhalten. Aus dem Druckgradientenempfänger wird durch eine zweite Membrane kein Druckempfänger!

 

Und so ist es in Wirklichkeit

Auch beim Druckgradientenempfänger treten in Wirklichkeit beide Empfängerprinzipien (Druckkomponente und Druckgradientenkomponente) mit unterschiedlichen Anteilen in Erscheinung – und zwar je nach Richtcharakteristik. Ein Mikrofon mit Nierencharakteristik arbeitet zur Hälfte als Druckgradientenempfänger und zur Hälfte als Druckempfänger. Eine Niere als Druckgradientenempfänger zu bezeichnen, ist puristisch gesehen zur Hälfte falsch! Diese halb falsche Darstellung hat sich aber in Fachliteratur und Werbeschriften etabliert, so dass niemand mehr darüber nach-denkt.

Die Richtcharakteristiken von Niere, Superniere und Hyperniere weisen jeweils andere Verhältnisse von Druckkomponente und Druckgradienten-komponente auf. Die Richtcharakteristik ist „berechenbar“ und zwar mit Hilfe der so genannten Mikrofongleichungen, mit denen die richtungs-abhängige Empfindlichkeit aus dem Anteil der Druckkomponente A und dem Druckgradientenanteil B berechnet werden kann. Die Summe von A und B ist immer gleich 1. Die folgenden Bilder zeigen die Verhältnisse beider Komponenten A und B bei den verschiedenen Richtcharakteristiken, wobei die Summe aus A und B immer 100 % beträgt (A+B=1).

 

                              

                     Kugel: A= 100 %                                           Breite Niere: A = 66,6 %                                                   Niere: A = 50 %
                                  B =     0 %                                                                  B = 33,3 %                                                               B = 50 %

 

                                 

           Superniere : A = 36,6 %                                          Hyperniere: A = 25 %                                                          Acht: A =      0 %
                                  B = 63,4 %                                                                 B = 75 %                                                                    B = 100 %

Richtcharakteristiken: Druckkomponente A und Druckgradientenkomponente B

 

Sobald eine Druckkomponente A beteiligt ist, kommen auch die speziellen Eigenschaften der Druckmikrofone wieder ins Spiel. Damit spielt die Abschattung kurzer Wellenlängen durch den Mikrofonkörper wieder eine Rolle (Hindernis im Schallfeld) und die Empfindlichkeit von vorne nimmt mit steigender Frequenz zu. In der Realität ist also alles etwas anders als in der Theorie.

 

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